Klimaschutz im Straßen- und Verkehrswesen

Jürgen Gerlach
Michael P. Wistuba

Zum 60-jährigen Jubiläum der BSVI gehören Klimaschutz und Klimafolgenanpassung zu den wichtigsten Aufgaben von Straßenbau- und Ver­­kehrs­­ingenieurinnen und -ingenieuren. Planerische und bautechnische Tätigkeiten im Straßen- und Verkehrswesen müssen zwingend darauf aus­gerichtet sein, zur Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen (THG) beizutragen und die sich schon heute offenbarenden Klimafolgen zu bewältigen. Auf dem Spiel stehen die Lebensbedingungen auf unserem Planeten sowie Lebensqualität und Sicherheit der heutigen und künftigen Generationen.

Während in vielen Sektoren zahlreiche Aktivitäten bereits Früchte tragen, ging in den zurückliegenden Jahren vom Verkehrs- und Wegebausektor eine zu geringe Reduzierung der THG-Emissionen aus. Im Jubi­läums­jahr 2023 zeigt sich insofern ein immenser (Nachhol-) Bedarf an klimarelevanten Erfolgen, in Verwaltungen, Büros, Baustoff- und Baufirmen sowie Forschungseinrichtungen der Verkehrsplanung und des Wegebaus ab sofort erringen müssen. Der Bedarf umfasst die gesamte Bandbreite des Mobilitäts-, Verkehrs- und Straßenbauwesens.

Trotz zahlreicher Innovationen und Fortschritte im Mobilitäts-, Verkehrs- und Straßenbauwesen konnte in den zurückliegenden Jahrzehnten keine ausreichende Reduzierung der THG-Emissionen des Verkehrs in Europa – so auch in Deutschland – erreicht werden. Im Gegenteil! Der Verkehr ist der einzige Bereich, in dem die THG-Emissionen in den letzten drei Jahrzehnten zugenommen haben. Zwischen 1990 und 2019 stiegen sie innerhalb der Europäischen Union sogar um 33,5 % an (Europäisches Parlament 2022). Seitens der EU wurde das Klimagesetz zuletzt mit einer Verordnung vom 30. Juni 2021 angepasst. Die gesetzlichen Vorgaben basieren hierbei auf den Konzepten des European Green Deals mit dem festgelegten Ziel, bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr auszustoßen, und dem Meilenstein, bis 2030 eine THG-Minderung um 55 % gegenüber 1990 zu erreichen. Im Bereich Verkehr und Mobilität wurden hierfür die Strategie „Nachhaltige und intelligente Mobilität“ sowie das Maßnahmenpaket „Fit for 55“ zur THG-Minderung um 55 % bis 2030 entwickelt (EU 2020).

Deutschland will EU- und weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen: Deutschland ist mit im Bundes-Klimaschutzgesetz (Bundestag 2021) quantitativ hinterlegten Klimaschutzzielen Verpflichtungen eingegangen, die THG-Emissionen beispielsweise bis zum Jahr 2030 gegenüber 1990 speziell im Sektor Verkehr um 48 % zu reduzieren. Doch bis zum Jahr 2022 ist die dazu notwendige Entwicklungsrichtung längst noch nicht eingetreten, so dass es allein in den nun angebrochenen acht Jahren bis 2030 erheblicher Anstrengungen bedarf, die im Gesetz verankerten, jährlichen Minderungsziele einzuhalten. Zu erwarten ist, dass die Folgen von Nichteinhaltungen Sofortprogramme mit noch nie dagewesenen Veränderungen im Umgang mit dem Angebot und der Nachfrage in allen Verkehrsteilsystemen und mit Baustoffen und Bauverfahren mit sich bringen werden.

Von großer Bedeutung ist dabei auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 2021), der die Verantwortung nicht etwa allein dem Staat zuordnet, sondern vielmehr nahelegt, dass jetzige Generationen mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umgehen müssen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten. Auch im Verkehrs- und Mobilitätssektor ist daher auf allen Ebenen „das Mögliche zu tun“ (BVerfG 2021), um die jetzige Generation dahin zu bewegen, mit den natürlichen Lebensgrundlagen sorgsam umzugehen. Aufzuführen ist in diesem Zusammenhang auch das im Klimaschutzgesetz verankerte Berücksichtigungsgebot, nach dem Träger öffentlicher Belange Vorbildfunktion und die Erfüllung der im Gesetz festgelegten Ziele bei ihren Planungen und Entscheidungen zu berücksichtigen haben.

Um eine hinreichende Berücksichtigung der in diesem Zusammenhang stehenden Herausforderungen zu gewährleisten, wurden und werden bisherige Methoden, Entscheidungsprozesse und Maßnahmen sowie Regeln der Technik im Straßen- und Verkehrswesen auf den Prüfstand gestellt und verändert (FGSV 2022). Diesbezügliche Aktivitäten sind notwendig und teils bereits im Gange. Sie betreffen die Erarbeitung und Veröffentlichung neuer Regelwerke, Normen, Vorgaben und Standards in der Verkehrsplanung, im Straßenentwurf, im Verkehrsmanagement sowie im Verkehrswegebau. Ein Grund dieser Aktivitäten im Verkehrswesen ist, dass die Antriebswende allein nicht ausreichen wird, die europaweit formulierten Ziele einzuhalten (Ariadne 2021). Zudem wird der zukünftige Energiebedarf motorisierter Mobilität durch regenerative Energien unter heutigen Rahmenbedingungen und mit den derzeit beschlossenen Maßnahmen nicht zu decken sein (Agora 2020).

Zwingend erforderlich ist es unter anderem, sowohl die Verkehrsleistungen, ausgedrückt in Personen- und Tonnenkilometern, als auch die spezifischen Wirkungen der Verkehrsnachfrage, ausgedrückt in Energie, THG-Emissionen pro Personen- bzw. Tonnenkilometer zu mindern (NPM 2021, FGSV 2022). Die Rahmenbedingungen sind insofern auf allen Ebenen (Europa, Deutschland, Bundesländer, Regionen, Kommunen) so zu setzen, dass Ortsveränderungen von Personen und Gütern sowie das hierfür notwendige Verkehrs- und Infrastrukturangebot mit möglichst geringen Emissionen verbunden sind.

Hinzu kommt, dass der Klimawandel auch in Deutschland verstärkt sichtbar wird. Es gilt unter anderem, resiliente Infrastrukturen zu schaffen, ausgedehnte Dürreperioden zu überstehen, Wasser bei zunehmenden Starkregenereignissen zu speichern und notwendige Verhaltensänderungen hin zu verstärkter Nutzung öffentlicher Verkehre, des Fahrrades und der eigenen Füße zu unterstützen. Hierfür sind die Verkehrsangebote einschließlich des Straßenbestands vielfach nicht ausgelegt – es steht eine weitgehende Veränderung des Verkehrssystems einschließlich aller Verkehrsteilsysteme, deren Verknüpfungen und auch der Straßengestaltung an. Erforderlich ist unter anderem die Umwandlung versiegelter Flächen zu Grün- und Retentionsflächen für ein gutes Mikroklima und einen ausgewogenen Wasserhaushalt, die Bereitstellung attraktiver Flächen für das Radfahren, für das Gehen und für den Aufenthalt sowie die Verminderung und Verlagerung des Parkens zur Reduktion des Aufheizens der Straßenräume.

Maßgebende Ziele für Straßenbau- und Verkehrsingenieurinnen und -ingenieure sind insofern

  • die Reduzierung der verkehrsbedingten THG-Emissionen, von denen derzeit rd. 1/3 auf den Güterverkehr Straße und rd. 2/3 auf den Personenverkehr Straße (davon rd. 2/3 auf Pkw-Fahrten mit über 20 Kilometer Fahrtweite) entfallen,
  • die Reduzierung des verkehrsbezogenen Energieverbrauchs, da der zukünftige Energiebedarf motorisierter Mobilität durch regenerative Energien – legt man die heutigen Rahmenbedingungen und die bislang beschlossenen Maßnahmen zugrunde – nicht zu decken sein wird (Agora 2020), sowie
  • die Reduzierung des Material- und Ressourcenverbrauches durch Verkehrsinfrastruktur, Verkehrsangebot und Verkehrsmittel im Sinne des Klimaschutzes, zumal der Bausektor neben dem Verkehrssektor den größten Nachholbedarf bezüglich der Reduzierung der THG-Emissionen aufweist.

Sollen diese Ziele erreicht werden, müssen zuallererst

  • die Verkehrsleistungen, ausgedrückt in Personen- und Tonnenkilometer,
  • die spezifischen Wirkungen der Verkehrsnachfrage, ausgedrückt in Energie, CO₂-Emissionen pro Personen- bzw. Tonnenkilometer,

vermindert werden.

Dabei sind motorisierte Verkehre auf den Umweltverbund zu verlagern und/oder die spezifischen Wirkungen der motorisierten Verkehre, ausgedrückt in Energie und THG-Emissionen pro Personen- bzw. Tonnenkilometer zu verringern. Hierzu sind weitreichende Veränderungen und vielfältige Handlungen in mehreren Handlungsfeldern erforderlich.

Die Herausforderungen zur Bewältigung der Klima- und der Energiekrise sind insofern gerade für Straßen­bau- und Verkehrsingenieurinnen und -ingenieure immens. Ausgetretene Pfade sind zu verlassen, um neue Wege beschreiten zu können.

Dies bekräftigt auch der aus Hochschulprofessorinnen und -professoren aus dem D-A-CH-Raum zusammengesetzte Wissenschaftsrat des Schweizerischen Verbands der Straßen- und Verkehrsfachleute (kurz VSS). Dieser sieht in seinen Stellungnahmen einen umfassenden Handlungsbedarf (siehe: Wissenschaftsrat VSS 2022a, 2022b, 2023). Unter anderem fordert er, dass

  • in Bewertungsverfahren, THG- und Energiebilanzen die langfristigen Auswirkungen von verkehrsplanerischen Entscheidungen und induziertem Verkehr berücksichtigt werden (Wege- und Verkehrsmittelwahl, Auslastungsgrade und Verkehrsleistung in Abhängigkeit von Standortentscheidungen auch aufgrund von Raumplanung, Bauleitplänen, Infrastrukturprojekten und Mobilitätsangeboten),
  • die Bewertungen dafür in einer jeweils angemessenen und ausreichend hohen Detailtiefe erstellt werden,
  • Ziele für den Klimaschutz im Verkehrssektor bzw. klimaorientierte Mobilitätspläne auf allen Verwaltungs- und Entscheidungsebenen (Staat, Land, Kanton, Gemeinde) verpflichtend umgesetzt und entsprechende Maßnahmen eingeführt werden,
  • Vorgaben, Prozesse und Methoden zur Erstellung von Mobilitäts- und Verkehrsentwicklungsplänen so zu adaptieren sind, dass das Erreichen der Klimaschutzziele als oberste Priorität zu berücksichtigen ist,
  • Klimaschutzziele die wesentliche Grundlage für Maßnahmenentwicklung, -untersuchung und -auswahl darstellen,
  • angelehnt an das bestehende Sicherheitsaudit von Straßen in der Planung und im Bestand alle bestehenden und geplanten Infrastrukturen und Angebote systematisch im Hinblick auf die Notwendigkeiten und Potenziale des Klimaschutzes und der Klimafolgenbewältigung überprüft und angepasst werden,
  • Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimafolgenanpassung im Verkehrssektor rasch und verbindlich umgesetzt werden,
  • Recycling und Wiederverwendung mit minimalem ökologischem Fußabdruck in größtmöglichem Umfang praktiziert werden, und
  • die Forschung zu resilienten und wiederholt recyclingfähigen Straßenbaustoffen aus nachhaltigen Rohstoffen vorangetrieben wird.

Veränderte Verfahrensweisen, Vorgaben und Standards in Verkehrsplanung, Straßenentwurf und Verkehrsmanagement

Die oben aufgeführten Forderungen wurden in Deutschland und hier explizit in der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen im Jahr 2022 aufgegriffen und vielfach bereits umgesetzt. Die „E Klima –­ Empfehlungen zur Anwendung von FGSV-Veröffentlichungen im Bereich Verkehr zur Erreichung von Klimaschutzzielen“ (FGSV 2022) folgen der Notwendigkeit entschlossenen Handelns und enthalten teils grundlegend neue klimarelevante Vorgaben, Standards und Handlungsoptionen zur Berücksichtigung bei der Planung, dem Entwurf und dem Betrieb von Verkehrsangeboten und Verkehrsanlagen. Sie dienen als Auftakt weiterer Aktivitäten dazu, notwendige Veränderungen innerhalb der Gremien der FGSV und vor allem in der Praxis zu bewirken, um adäquat auf klimarelevante Aspekte einzugehen und um neue Methoden und Maßnahmen zur Erreichung von Klimaschutzzielen im Verkehrswesen zu fördern sowie in Planungs- und Entscheidungsprozessen zu etablieren.

Während die bisherige Aufstellung von FGSV-Veröffentlichungen ähnlich wie die bisherige Entwicklung der Straßenverkehrsordnung das Ziel der Gleichbehandlung der Verkehrsmodi hatte, werden nunmehr Priorisierungen in Regelwerken und Wissensdokumenten verankert. Zudem stehen Sicherheitskriterien und Qualitätsanforderungen insbesondere für ungeschützte Verkehrsteilnehmende im Vordergrund und es sollen alle Möglichkeiten genutzt werden, den Öffentlichen Verkehr spürbar zu stärken. In Steckbriefen zu einer Vielzahl von FGSV-Veröffentlichungen werden ergänzende Anforderungen an die Anwendung im Hinblick auf die Reduzierung von THG-Emissionen und Energieverbrauch gegeben. Diese Anforderungen beinhalten auch neue Vorgaben, Standards, Regelfälle, Empfehlungen und Handlungsoptionen, die in ihrer Verbindlichkeit derer der jeweiligen Regelwerke entsprechen.

Bild 1: Standard der Vermeidung von Parkständen im Straßenraum zugunsten von Flächen für Grünbereiche, Retention und umweltfreundliche Verkehrsmodi gemäß RASt-Steckbrief der E Klima (beispielhaft, Quelle der Darstellungen: Riel, J.; Gothe, K.: Vortrag i

So soll beispielsweise nach dem Steckbrief zu den RASt Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (FGSV 2022) die Anlage von Parkständen im Straßenraum, die nicht für Menschen mit schwerer Gehbehinderung und Rollstuhlnutzende notwendig sind, weitgehend vermieden werden, um Flächen für Grünbereiche, für die Retention und/oder dezentrale Entwässerung mit Versickerung und/oder für andere umweltfreundliche Modi zu gewinnen und ein Aufheizen von Straßenräumen (Bild 1) zu verringern.

Bild 2: Vorgabe eines notwendigen Sicherheitstrennstreifens zum ruhenden Verkehr bei Radverkehr im Mischverkehr mit und ohne Schutzstreifen gemäß RASt-Steckbrief der E Klima (beispielhaft, eigenes Foto, eigene Darstellung)

Der ruhende Verkehr soll so weit wie möglich nicht mehr in Straßenräumen, sondern auf zusammenhängenden Parkflächen der in Parkbauten untergebracht werden. Wenn ruhender Verkehr in Straßenräumen nicht zu vermeiden ist, sind nach dem Steckbrief zu den ERA Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (FGSV 2022) Sicherheitstrennstreifen zu allen Arten der Radverkehrsführung vorzusehen – so auch bei Schutzstreifen und in Fahrradstraßen. Auch im Mischverkehr sollte insbesondere bei schmalen Fahrbahnen ein Sicherheitstrennstreifen vorgesehen werden (Bild 2).

Bild 3: Veränderte Ableitung der Bemessungsverkehrsstärken gemäß HBS-Steckbrief der E Klima (beispielhaft, eigene Darstellung)

Ein weiteres Beispiel: Nach dem Steckbrief zum Handbuch zur Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS) sollen für den Öffentlichen Verkehr die Qualitätsstufen A und B, für den Rad- und Fußverkehr die Qualitätsstufen A bis C angestrebt werden. Dabei sollen die anzusetzenden Bemessungsverkehrsstärken nicht mehr dem heutigen Niveau entsprechen, sondern die Wirkung aller geplanten Maßnahmen im ÖV, Kfz-, Rad- und Fußverkehr berücksichtigen (Bild 3).

Werden die hier exemplarisch aufgeführten neuen Vorgaben und Standards betrachtet, wird deutlich, wie durchgreifend die Veränderungen des Planungs-, Entwurfs- und Verkehrsmanagementprozesses sein müssen und werden. Neu formulierte Anforderungen können gleichwohl nur dann ihre Wirksamkeit entfalten, wenn sich Planungen, Prozesse und Entscheidungen vor Ort darauf ausrichten. Es ist insofern gemeinsames verantwortliches Handeln aller Straßenbau- und Verkehrsingenieurinnen und -ingenieure gefragt, um adäquate Lebensbedingungen für uns und für künftige Generationen zu bewahren.

Um die notwendige Bewältigung der Herausforderungen in der Praxis zu unterstützen, werden derzeit Möglichkeiten und Chancen der Umsetzung eines „Klima-Checks Verkehrsplanung“ auf kommunaler und regionaler Ebene analysiert. Mit einem solchen unabhängigen Klima-Check sollen in der Planung und im Bestand befindliche Verkehrsinfrastrukturen und -angebote – angelehnt an das bestehende Sicherheitsaudit von Straßen und zur Befolgung des Berücksichtigungsgebots des Klimaschutzgesetzes – systematisch im Hinblick auf die Notwendigkeiten und Potenziale des Klimaschutzes und der Klimafolgenbewältigung überprüft und angepasst werden.

 

Veränderte Verfahrensweisen, Vorgaben und Standards in der Straßenbautechnik

Verkehrsplanerische Entscheidungen stellen die Weichen für den Bedarf an Veränderungen der Verkehrsinfrastruktur. Um diese Veränderungen möglichst klimaneutral umzusetzen und um neue Wege beschreiten zu können, müssen auch im Straßenbausektor ausgetretene Pfade verlassen werden. Dazu sind alle Technologien gegen den Klimawandel und alle Initiativen zur forschungsseitigen (Weiter-) Entwicklung von Baustoffen und Baumethoden und zu deren entsprechender Umsetzung im Technischen Regelwerk rasch und mit allen Kräften zu fördern.

Die Ziele sind deutlich: Dekarbonisierung, Energie- und Emissionsminimierung sowie Klimafolgenanpassung. Dazu wurden beispielsweise folgende Entwicklungen im Straßenbausektor national wie international angestoßen:

  • Die Sicherstellung der (wiederholten) Wiederverwendbarkeit von Straßenbaustoffen und von umweltkompatiblen, lokal verfügbaren Altstoffen.
  • Die Herabsenkung des Energieverbrauchs im Produktions- und Bauprozess, etwa durch Bitumenzusätze, welche die Mischgutviskosität zielführend verändern.
  • Die Herabsenkung von Emissionen durch veränderte Baustoffe bzw. -Komponenten und/oder Bauprozesse, welche Luft und Arbeitsschutz verbessern, CO₂ dauerhaft binden oder zur Minimierung von Mikroplastik beitragen.
  • Die Erhöhung der Leistungsfähigkeit und der Dauerhaftigkeit von Baustoffen, unterstützt durch die Entwicklung einer geeigneten Prüftechnik, um eine gesteigerte Gebrauchsdauer auch eindeutig nachweisen zu können.
  • Die Entwicklung von Baustoffen aus nachwachsenden Rohstoffen (die keine Konkurrenz zur Ernährung darstellen), auch im Sinne einer größtmöglichen Dekarbonisierung.
  • Die multifunktionale Nutzung von Straßenoberflächen, beispielsweise zur Energiegewinnung, zur Vermeidung von städtischen Hitzeinseln oder zur Regulierung des lokalen Wasserhaushalts (Schwammstadt-Prinzip).
  • Die Entwicklung industrialisierter, effizienterer und witterungsunabhängiger Produktions-, Belagseinbau- und Rückbautechniken.

Bei den meisten dieser Entwicklungen zeichnen sich bereits vielversprechende Ansätze oder sogar Lösungen ab. Das ist auch gut so, denn die Dringlichkeit ist hoch. Der Straßenbausektor muss ehestmöglich seinen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten.

Weil seit jeher Asphalt der Hauptbaustoff für gebundene Straßenbefestigungen ist und für die meisten Einsatzzwecke wohl langfristig keine gleich- oder besserwertigen Alternativen zur Verfügung stehen, ist es zweckmäßig, den Asphaltstraßenbau in den Fokus zu rücken.

Ein wichtiger Schlüssel hierbei ist die Veränderung des Bindemittels im Asphalt und dessen reduzierter Einsatz, denn Bitumen wird aus Erdöl gewonnen, erfordert hohe Produktions- und Einbautemperaturen und verursacht umweltschädliche Emissionen. Die richtige Auswahl und der effiziente Einsatz von Modifikations- und Ersatzstoffen für Bitumen sind in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. Da sind beispielsweise Regenerationsmittel, Alterungshemmer, viskositätsverändernde Zusätze oder biogene Bindemittel zu nennen.

Keine strikten technischen Regeln und kein rigides Bauvertragswerk dürfen notwendige Entwicklungen hemmen. Innovationen sollten idealerweise stimuliert werden. Regel- und Vertragswerk sind daher auf bestehende formale Hürden und Innovationsfeindlichkeit zu prüfen. Auch die überholten Anforderungswerte an Bitumen wie Erweichungspunkt Ring und Kugel und Nadelpenetration sind umgehend durch aussagekräftigere Kennwerte zu ersetzen, welche längst ausreichend bekannt und erprobt sind.

Alle neuen Lösungsansätze im Baustoff- und Baubereich werden künftig hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, Nachhaltigkeit und Klimaneutralität sowie ihrer möglichen Folgewirkungen ganzheitlich und systematisch im Rahmen einer lebenszyklusorientierten Bilanzierung zu validieren sein. Im Sinne eines „Klima-Checks Straßenbau“ wird derzeit mit Hochdruck gearbeitet an der Entwicklung und Erprobung von Verfahren zur Bewertung von Straßenbauprojekten, idealerweise unterstützt durch beschleunigte, auf Labordaten gestützte Analysen und durch Monitoring von Versuchsstrecken.

Transparente technische, ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeitskriterien für den Straßenbausektor werden derzeit im Rahmen von laufenden Forschungsprojekten formuliert.

Literatur

Agora 2020: Agora Energiewende/Agora Verkehrswende/Stiftung Klimaneutralität: Klimaneutrales Deutschland 2045, Wie Deutschland seine Klimaziele schon vor 2050 erreichen kann, Berlin 2020

Ariadne 2021: Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Kopernikus-Projekt Ariadne: Ariadne-Analyse – Klimaschutz und Verkehr: Zielerreichung nur mit unbequemen Maßnahmen möglich, Potsdam 2021

Bundestag 2021: Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2513), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. August 2021 (BGBl. I S. 3905) geändert worden ist

BVerfG 2021: Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 –, Rn. 1-270, Karlsruhe 2021

Europäisches Parlament 2022: CO₂-Emissionen von Pkw: Zahlen und Fakten, https://www.europarl.europa.eu , Zugriff am 28.01.2023

EU 2020: Europäische Kommission: Anhänge der Mitteilung der Kommission. Arbeitsprogramm der Kommission für 2021. Eine vitale Union in einer fragilen Welt. Brüssel 2020

FGSV 2022: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Empfehlungen zur Anwendung und Weiterentwicklung von FGSV-Veröffentlichungen im Bereich Verkehr zur Erreichung von Klimaschutzzielen (E Klima), Ausgabe 2022, Köln, 2022

NPM 2021: Nationale Plattform Zukunft der Mobilität, Arbeitsgruppe 1 „Klimaschutz im Verkehr“: Wege für mehr Klimaschutz im Verkehr, Berlin 2021

Wissenschaftsrat VSS 2022a: Stellungnahme „Mit Entschlossenheit gegen die Klimakrise“, Strasse und Verkehr, 3, 2022

Wissenschaftsrat VSS 2022b: Stellungnahme „Forschung für Strassenbaustoffe im Kampf gegen die Klimakrise fokussieren!“, Strasse und Verkehr, 10, 2022

Wissenschaftsrat VSS 2023: Stellungnahme „Verkehrsplanung prioritär auf den Klimaschutz ausrichten!“, Strasse und Verkehr, 3, 2023